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  • AutorenbildMateja Meded

Tatjana Turanskyj: Vorkämpferin für Veränderungen

Zeit // 21. September 2021


Tatjana Turanskyj: Vorkämpferin für Veränderungen

In einem geschlossenen System verschwindet die Energie nie, sondern wird immer transformiert. Das besagt der physikalische Energieerhaltungssatz. Ich glaube an Physik und Logik, und ich weiß, dass Tatjana nicht verschwunden ist. Sie war schon sehr lange krank, es hing wie eine Wolke über unseren Treffen, doch es hielt sie nicht ab, sich weiterhin mit Leuten zu treffen und gemeinsam zu streiten, über Taktiken zu reden, als selbstdenkende und selbstständige Künstlerin nicht zu versteinern. Am Samstag ist Tatjana Turanskyj, Filmemacherin, Drehbuchautorin, Performancekünstlerin, Feministin, Professorin, in Berlin gestorben. Sie wurde 55 Jahre alt. Sie war meine Mentorin, im Privaten wie im Beruflichen. Ihre Worte, die sie mir kurz vor ihrem Tod gesagt hatte, und die Worte davor hallen gerade sehr laut nach. Um etwas zu verändern, müsse man erst bei sich selbst anfangen, hat sie immer gesagt, sich ständig weiterbilden und hinterfragen, was für ein Mensch man ist, welche Stellung man in der Gesellschaft hat und sich dann mit Gleichgesinnten verbünden. Tatjana gehörte nicht zu den Menschen, die ihre Energie mit Meckern vergeuden. Wenn sie Ungerechtigkeiten sah, überlegte sie, wie sie etwas verändern konnte. 2001 gründete sie zusammen mit anderen Künstlerinnen das Performance-Filmkollektiv Hangover Ltd., deren Filme von der Volksbühne Berlin koproduziert wurden. Mit einer Handvoll Regisseurinnen gründete sie 2014 den Verein ProQuote Regie, der später in ProQuote Film umbenannt wurde. Dieser Verein schlug Wellen, er wurde zu einem Netzwerkknoten für Filmfrauen, und aus ihm heraus entstanden weitere feministische Vereine. Für Tatjana war Feminismus keine Theorie, sie hat ihn gelebt. In ihrem Alltag, aber auch in ihren Filmen, wie Top Girl (2014), Orientierungslosigkeit ist kein Verbrechen (2015), oder Eine flexible Frau (2010), in dem es um eine 40-jährige Architektin geht, die arbeitslos wird und hin- und hergerissen ist zwischen Widerstand und Konformität. Sie hat bewusst das Wort "flexibel" in den Titel dieses Films gesteckt, weil es ein Synonym für Weiblichkeit ist, für sie hieß dieses "flexibel" "in schlecht bezahlten Dienstleistungsjobs zu arbeiten, wo es wenig Aufstiegsmöglichkeiten gibt, und vor allem Teilzeit". Sie hatte den Film 2009 gedreht, als 80 Prozent der Teilzeitjobs von Frauen besetzt waren. Als ich den Film sah, war ich geschockt, aber auch zugleich wütend, weil die damaligen Themen immer noch aktuell sind und weil Regisseurinnen, die solche Filme machen, ein Budget bekommen, das so lausig ist, dass andere dafür nicht einmal aufstehen würden. Regisseurinnen, die solche Filme machen, müssen weiterhin für jeden neuen Film wie Löwinnen kämpfen. Und auch darum, ihre Miete zahlen zu können. Der Film Eine flexible Frau beschreibt auf sehr Tatjana-typische Weise, wie Antifeminismus und neoliberaler Kapitalismus zusammenhängen. Und auch, wie Frauen Teil des Problems sind. In einer Szene trifft sich die Protagonistin mit ihrer Freundin in einem Café, diese hat einen Kinderwagen dabei. Die Freundin versteht die Unzufriedenheit der arbeitslosen Architektin nicht, es sei doch schön, endlich mal ein bisschen Zeit für sich und ihren Sohn zu haben. Doch die Protagonistin will arbeiten, sie hat auch keinen erfolgreichen Mann an ihrer Seite, der sich um das Finanzielle kümmert, sie braucht einen Job und beschwert sich, dass die heile Zuverdienerinnen-Gesellschaft das nicht kapiere. Sie fragt ihre Freundin: "Bist du wirklich zufrieden? Olaf baut ein schreckliches Ding nach dem anderen und du machst die Kinder." Die Freundin erwidert, dass Olaf und sie ein Team seien und dass man es auch manchmal ertragen müsse, keine Aufgaben im Leben zu haben; außerdem wälze sie Kataloge nach Kacheln, Türen, Fenstern. Als die Protagonistin fragt, ob sie bei ihr und Olaf im Büro arbeiten könne, schlägt die Freundin ihre Bitte ab. Diese Szene, der ganze Film ist so messerscharf und unverkitscht dargestellt, dass es eine Freude macht, diesen Frauen beim Überleben des Alltags zuzugucken, ohne dabei sentimental zu werden. An keiner Stelle wird man emotional erpresst. Es ist eine nüchterne, gesellschaftliche Analyse aus einer weiblichen Perspektive, die Kunstfilmmittel benutzt. Nichts ist platt erzählt, es werden keine Ismen benutzt, sondern die internalisierten Fehlstellungen des Patriarchats und der neoliberalen Konsumgesellschaft gezeigt.

Tatjana hat mir sehr subtil immer wieder Werkzeuge mitgegeben, in Form von Gedanken, Erfahrungen oder Büchern, wie ich als Feministin in einer von Männern für Männer gemachten Welt nicht kentere. Wir redeten über Strategien, wie man in Kollektiven und Gruppen arbeiten kann, ohne sich nach ein paar Monaten zu hassen, und warum es wichtig ist, mit verschiedenen Leuten zusammenzuarbeiten. Sie hat mir ein Buch zu diesem Thema empfohlen, wie sie mir oft Bücher empfohlen hatte, einige habe ich mir aufgeschrieben, andere nicht, leider. Tatjana und ich haben oft über maskierten Feminismus in der Filmwelt geredet, welche angeblich "feministischen Filme" Fördergelder bekommen und warum. Wie persönlicher Geschmack der Fördernden und private Seilschaften strukturellen Sexismus befördern. Wie diese romantischen Schmonzetten entstehen, die von Frauen gedreht werden, und in denen die weibliche Protagonistin meistens eine weiße Frau aus der Mittelschicht ist, die Probleme hat, die weiße Frauen aus der Mittelschicht haben, zum Beispiel, einen Mann zu finden. Wir haben uns über diese Plots amüsiert und versucht, den subtilen und strukturellen Sexismus zu analysieren. Wenn ich mich arrogant und unbarmherzig über diese Schauspielerinnen und Regisseurinnen erhoben habe, hat mich Tatjana immer korrigiert. Sie meinte, es sei nicht schlimm, dass es solche Filme gebe, es solle sie ruhig geben; was schlimm sei, sei die Tatsache, dass andere Geschichten eben nicht in dieser Form gefördert würden. Unser Fazit war, dass es ein Prozess sei, ein sehr zäher, und dass man Geduld haben und dranbleiben müsse. Wenn wir sterben, dann bleibt etwas zurück, aber es ist nicht unser Geruch, unsere Schönheit oder unsere Haare, nein, es ist, was wir gesagt haben oder was wir nicht gesagt haben. Es ist, was wir gemacht haben oder auch nicht gemacht haben. Die Wärme, die wir mit anderen Menschen geteilt haben, bleibt in Erinnerung, die Liebe und die Inspiration, die wir gegeben haben. Tatjana Turanskyj war nicht nur eine großartige Regisseurin, die sehr scharfsinnig, fortschrittlich und sehr eigen auf die Welt geblickt hat und sehr geduldig mit Filmförderanstalten für ihre Filme gekämpft hat, sie war auch Aktivistin, eine Feministin, eine Professorin, eine Freundin, die man immer anrufen konnte. Sie hat Menschen zusammengebracht und sie inspiriert. Die Menschen, die sie um sich geschart hatte oder die von selbst zu ihr gekommen waren, verbünden sich gerade noch mehr, was ganz in ihrem Sinne ist. Ihre Energie ist nun in etwas anderes transformiert worden. In was genau, kann ich nicht sagen. Ich weiß nur, dass sie gerade sehr nahe bei mir ist und bei all den anderen Menschen, die sie verzaubert hat. Wir werden sie weiterleben lassen, ihre Gedanken, ihre Kunst, ihre Ziele und ihren Feminismus.



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